Manchmal stehen die schönsten Dinge direkt vor unserer Nase – wir sehen sie nur nicht.
Dieser Brotschrank begleitet unsere Familie seit über 40 Jahren. Meine Mutter hatte ihn damals auf einem Straßenflohmarkt in München entdeckt. Ein unscheinbarer, leicht verstaubter Schrank, wahrscheinlich ursprünglich von einem Bauernhof. Solche Brotschränke waren früher ganz normal: In der Tür ein kleines Lüftungsgitter, damit das Brot nicht schimmelt, innen ein Fach für Laib und Messer – praktisch und schlicht.
Über die Jahre wurde er zigmal genutzt, repariert, abgestellt, weitergeschoben. Und irgendwann stand er schließlich 20 Jahre im Keller – etwas angekratzt, mit Wachs ausgebessert, die Oberfläche fleckig und stumpf.
Aber jedes Mal, wenn wir daran vorbeigingen, dachten wir:
„Wegwerfen können wir ihn nicht, dafür steckt zu viel Geschichte drin.“

Und genau so entstand dieses Upcycling-Projekt – nicht geplant, sondern aus einem Gefühl heraus.
Ein Gefühl von: Lass uns ihm noch einmal eine Chance geben.
Inhaltsverzeichnis

1. Warum dieser Schrank uns so viel bedeutet
Wenn man Möbel lange begleitet, verändert sich der Blick darauf.
Viele kleine Gebrauchsspuren zeigen, dass der Schrank über Jahrzehnte tatsächlich genutzt wurde. Die Tür wurde oft geöffnet, die Kanten hatten Kontakt mit Gegenständen, Oberflächen wurden beansprucht. Diese Spuren wirken heute charaktervoll und geben dem Möbelstück seine Authentizität.
Solche Möbel sind nicht perfekt, sie sind echte Zeitzeugen.

2. Brotschrank restaurieren – Schritt-für-Schritt-Anleitung

Schritt 1: Alte Wachs- und Füllstellen freilegen
Bei alten Bauernschränken wurde beim Reparieren viel improvisiert.
Risse wurden mit Wachs gestopft, kleine Löcher mit irgendetwas verfüllt, das gerade da war. Wenn du solch ein Möbelstück restaurierst, beginnt alles damit, altes und loses Material vollständig zu entfernen und die frühere Oberflächenbehandlung – also Lacke, Lasuren oder Wachs – abzutragen.

Wir haben uns dafür etwas Zeit genommen:
- Mit einem kleinen Schraubenzieher und einem Cutter alte Wachsreste herausgeholt
 - Alles entfernt, was nur lose oder instabil war
 
Das klingt unspektakulär, aber genau hier entscheidet sich, ob die spätere Oberfläche stabil wird oder wieder zu bröckeln beginnt. 😅
Schritt 2: Grobschliff – 60er Körnung
Im ersten Schritt haben wir die Oberfläche mit dem Schwingschleifer und einer 60er Körnung abgeschliffen – also bewusst recht grob, um die alte Schicht wirklich zu öffnen und das Holz wieder freizulegen.

Dabei passiert Folgendes:
- Die alte Oberfläche wird geöffnet
 - Wachs- und Lackreste lösen sich
 - Die Maserung tritt wieder hervor
 
Bei alten Möbeln setzen Wachs und Lack das Schleifpapier schnell zu – wir mussten es mehrfach wechseln.

Je gleichmäßiger dieser erste Schleifgang ist, desto harmonischer wirkt später die Lasur.
Tipp: Atemschutz nicht vergessen
Beim Schleifen alter Möbel entsteht feiner Holzstaub (inkl. anderer Schadstoffe aus alten Lacken und Oberflächenbehandlungen), der tief in die Lunge gelangen kann. Wenn du in Innenräumen arbeitest, trage unbedingt eine Atemschutzmaske – idealerweise FFP2 oder FFP3. So schützt du dich zuverlässig vor Feinstaubbelastung.

Schritt 3: Spalten/Fehlstellen mit Holzmehl und Leim verfüllen
Nach dem ersten Schleifgang wurden weitere feine Risse und Fugen sichtbar – bei alten Möbeln vollkommen normal. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, solche Stellen zu schließen, etwa mit Holzspachtel, Reparaturkitt oder Hartwachs (darüber wird in Fachforen ausgiebig diskutiert). Wir wollten jedoch eine schlichte und stimmige Lösung, die farblich genau zum Original passt und das Holz nicht verfremdet. Deshalb haben wir uns entschieden, die Fehlstellen mit einer Mischung aus Holzmehl und Holzleim aus dem Material selbst auszubessern.

Deshalb haben wir:
- Beim Schleifen das Holzmehl aufgefangen
 - Es mit Holzleim vermischt, bis eine cremige Paste entsteht
 - Diese mit einem Spachtel dünn und sauber eingedrückt, genauer gesagt die Spalten verspachtelt.
 


Das Tolle daran:
- Die Füllung hat genau die Farbe des Schranks
 
Wir haben alles über Nacht trocknen lassen.
Am nächsten Tag waren größere Fugen leicht abgesackt – vollkommen normal. Also noch einmal dünn nachgespachtelt und wieder trocknen lassen.

Nimm dir die Zeit und lasse den Leim immer über Nacht komplett aushärten, damit die gekitteten Stellen später nicht wieder aufreißen.
Hinweis zur Holzmehl-Leim-Methode
In manchen Fachforen liest man, dass Holzmehl in Kombination mit Holzleim später keine Lasur oder Ölung richtig annimmt und die ausgebesserten Stellen unschön sichtbar bleiben.
Unsere Erfahrung: Bei unserem Brotschrank (Fichte) und einer kalkweißen Lasur sind die Füllstellen im finalen Ergebnis kaum bis gar nicht sichtbar – die Oberfläche wirkt harmonisch, die ausgebesserten Stellen fügen sich gut ins Gesamtbild ein.
Wenn du dir unsicher bist, empfehlen wir:
Mach vorab ein kleines Teststück.
Ein Restbrett oder ein versteckter Bereich am Möbel reicht völlig, um zu prüfen, wie sich die Lasur auf den gespachtelten Stellen verhält. So gehst du auf Nummer sicher, bevor du den ganzen Schrank bearbeitest.
Schritt 4: Feinschliff – 80er und 120er Körnung
Jetzt kam der schönste Moment: das Holz „wieder weich machen“.
Im zweiten Schleifgang wird der Schrank noch einmal komplett mit einem gröberen Schleifpapier bearbeitet. Wir haben dieses Mal eine 80er Körnung verwendet. Jetzt geht es vor allem darum, die ausgebesserten Stellen und den Leimüberschuss plan zu schleifen.
Im letzten Schleifgang nehmen wir eine 120er Körnung, damit eine samtige Oberfläche entsteht.
Schritt 5: Lasur in Kalkweiß – moderne Optik
Wir wussten: Wir möchten die Maserung sichtbar lassen, aber die gelbliche Fichtenfarbe soll verschwinden.
Deshalb haben wir uns für eine kalkweiß pigmentierte Holzlasur entschieden.

Auftragen der Holzlasur:
- Dünn mit der Lackwalze auf großen Flächen
 - Pinsel für Ecken und Kanten
 - 2 Schichten, dazwischen mindestens 12 Stunden Trocknungszeit
 
Je nach gewünschtem Effekt kannst du:
- 1 bis 2 Schichten auftragen → Holz bleibt warm und sichtbar
 - 3+ Schichten → sehr hell, fast skandinavisch weiß
 

Wir haben uns für zwei Lasurschichten entschieden: helle, ruhige Oberfläche – aber die Maserung bleibt erkennbar.

Schritt 6: Das Highlight – Lüftungsgitter in Gold matt
Das runde Lüftungsgitter bildet den charakteristischen Mittelpunkt des Schranks. Es zeigt noch heute seine ursprüngliche Funktion als Brotschrank.

Und genau deshalb wollten wir es bewusst betonen.
- Fläche drumherum sorgfältig abgeklebt
 - Mit Isopropanol entfettet
 - Gold matt Sprühlack aufgesprüht, ganz dünn, in zwei feinen Schichten
 

Dieser kleine Akzent verändert die gesamte Wirkung. Schwarz matt stand auch zur Diskussion, eventuell für alle eine Option, denen Gold zu dominant wirkt. 😆
3. Das Ergebnis – und warum es sich gelohnt hat
Der Schrank steht heute wieder bei uns im Wohnzimmer. Nicht als Dekostück, sondern als Teil unserer Geschichte. Er ist heller geworden – leichter, moderner. Aber die Spuren der Zeit, die Risse, die Kanten – sie dürfen bleiben. Sie erzählen von Menschen, die ihn genutzt haben. Von Brot, das darin lag. Von Händen, die darüber gestrichen haben. Und genau das macht ihn so wertvoll!

Upcycling ist nicht nur Handwerk.
Es ist eine Geste des Bewahrens.

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